Es sind fast siebentausend Kilometer von West nach Ost, die wir hinter uns lassen. Bewegen wir uns ja sonst weitestgehend eigenständig auf unser jeweiliges Reiseziel zu, sind wir jetzt immer von der Zuverlässigkeit anderer abhängig. Doch alle möglichen Befürchtungen erweisen sich als hinfällig: Das beginnt schon am Sonntagmorgen mit der Fahrt zum Bahnhof. Pünktlich um viertel nach fünf Uhr steht das Taxi vor unserer Haustür, um uns zum Bahnhof zu bringen. Der ICE von Münster zum Frankfurter Flughafen läuft frühzeitig ein, wir haben Zeit genug, um unsere reservierten Plätze aufzusuchen und das Gepäck zu verstauen. Pünktlich auf die Minute erreichen wir auch den Airport, der durch ein gut strukturiertes System von Infotafeln und Hinweisschildern besticht. Am Check-In-Schalter müssen wir uns allerdings in eine lange Schlange von Reisenden einreihen, ehe wir unser Gepäck aufgeben können und die Bordkarten in den Händen halten. Der neunstündige Flug verläuft unproblematisch, aber da wir gegen die Zeit fliegen, ist es schon halb sechs am Morgen, als wir Ulan Bator erreichen. Am Ausgang erwarten uns schon unsere Reiseleiterin Domin und der Fahrer Gagan, die uns in den nächsten Tagen begleiten werden.
Nach einem kurzen Nickerchen und einem mongolischen Frühstück sind wir bereit zu einer ersten Erkundung Ulan Bators. Auf der Tagesordnung stehen der Tempelbezirk und das Tempelmuseum. Aber vorher müssen wir noch Geld wechseln. Zu einem Wechselkurs von 1 : 3800 erhalten wir einen großen Packen Scheine der Landeswährung Tugrik in einer der zahllosen Wechselbuden.
Der Tempelbezirk liegt inmitten des großstädtischen Lebens der Hauptstadt. In der Mongolei ist der Buddhismus die vorherrschende Religion. Bereits am Eingang fallen uns die zahlreichen Gebetstrommeln auf, die dem Gedenken der Verstorbenen dienen. Sachkundig erläutert uns Domin die unterschiedlichen Facetten dieser fernöstlichen Religion. Eine über sechzehn Meter hohe Statue eines stehenden Buddha bleibt uns besonders in der Erinnerung haften. Im Inneren der Tempel darf nicht fotografiert werden. Auf die Einhaltung dieses Gebotes wird von den Aufseherinnen besonders geachtet. Schade, es ist unmöglich die Vielfalt und Schönheit der gezeigten Kultgegenstände im Gedächtnis zu behalten. Am Ende des Rundgangs werden wir noch Zeugen einer eindrucksvollen Zeremonie der versammelten Lamas (Mönche), die nur am Sonntag stattfindet.
Der Plattfuß beschäftigt uns auch heute noch: Das Rad war gestern Abend zwar schnell gewechselt, aber wir brauchen ein neues Ersatzrad. Eine Reparatur des alten Rades ist nicht mehr möglich, daher steuern wir die Provinzhauptstadt von Gobi Mitte an und suchen nach einem Reifenhändler. Das ist nicht ganz so einfach, da die europäischen Gesetzmäßigkeiten hier nicht gelten. Neue Reifen gibt es hier eigentlich nicht, man handelt mit Gebrauchtreifen oder sogenannten „runderneuerten“ Reifen. Ganaa, unserem Fahrer, ist das alles zu unsicher, er möchte einen Originalreifen. Die Straßen, die Schotterpisten und die Querfeldein-Wege sind in einem Zustand, der den Reifen nicht sonderlich zuträglich ist. Sie werden in höchstem Maße beansprucht. Ganaa treibt notgedrungen als Übergangslösung einen Gebrauchtreifen auf. Noch sind wir ja nicht auf ihn angewiesen. Wir, Doni, Annemarie und ich, gehen inzwischen auf die Suche nach einer Landkarte der Mongolei, kommen auch ebenfalls hier nicht weiter. Dafür entdecken wir ein hübsches Café, in dem es vorzüglichen Kaffee gibt. Erst gegen Mittag können wir zu unserem eigentlichen Ziel aufbrechen, den „Weißen Stufen“, einer Felsformation weitab von jeglicher Ansiedlung. Es gibt allerdings ein Jurten-Camp in der Nähe, wo wir die Nacht verbringen wollen. Mittlerweile ist es auch schon ziemlich heiß, die Temperatur liegt bei ca. dreißig Grad. Die Fahrt führt uns durch eine Geröllwüste der mittleren Gobi und verlangt unserem Fahrer einiges ab. Für den letzten Teil der Strecke müssen wir von der asphaltierten Straße abbiegen. Jetzt sind wir auf dem schwierigsten Teil des Weges, denn es gibt keine Schilder, wir folgen Fahrspuren in der Geröllwüste und sind auf die Intuition des Fahrers und auf Hinweisen von Menschen angewiesen, denen wir in dieser Einöde begegnen. Schließlich erreichen wir doch noch unser Camp und erfrischen uns erst einmal mit einer kalten Dusche. Ein Abendessen weckt dann unsere Lebensgeister wieder und wir machen uns noch auf zu den „Weißen Stufen“. Hier warten wir auf den Sonnenuntergang, der die Felsen in den unterschiedlichsten Farben zum Leuchten bringt. Die gute Stimmung versöhnt uns mit den Anstrengungen des Tages.
Den Weg bis zur Asphaltstraße, der uns gestern soviel Mühe bereitet hat, bewältigen wir heute in der Hälfte der Zeit. Unterwegs treffen wir auf eine Kamelherde, die uns neugierig beäugt, als wir einen kurzen Stopp machen. Heute wollen wir zur Geierschlucht in der Süd-Gobi. In Europa wird der Begriff Gobi in der Regel mit der Sandwüste assoziiert, dabei bezeichnet Gobi in der Mongolei eine Region mit unterschiedlichen Landschaftsformen. Die politische Gliederung unterteilt in die Provinzen Mittel-Gobi und Süd-Gobi mit ihren jeweiligen Hauptstädten. Von weitem sehen wir schon die Bergkette des Gobi-Altei vor uns liegen. Die Geierschlucht findet sich im Naturpark Yolin-Am in einer Höhe von 2400 Metern - da hat der Toyota einiges zu kraxeln. Am Eingang des Naturparks ist ein kleines Museum, das uns mit der Tierwelt des Gebirges vertraut macht. Bänke und ein Tisch im Schatten laden uns zu einem kleinen Picknick ein.
Die Geierschlucht wird, ähnlich einer Klamm, in ihrem Verlauf immer enger. In der Mitte schlängelt sich ein munteres Bächlein. Wer nicht gut zu Fuß ist, oder keine Lust hat zu laufen, kann sich am Eingang ein Pferd mieten. Es ist noch früh am Tag und wir sind noch weitestgehend allein unterwegs. Nach einigen Kilometern wird es spürbar kälter, die Sonne erreicht auf Grund des Schattens den Boden nicht mehr und das Bächlein verwandelt sich flugs in eine dicke Eisschicht. Wie bei einem Gletscher taut das Eis des Winters nur sehr langsam ab. Wir treten den Rückweg an und wie beim Hinweg machen wir eine Vielzahl an Entdeckungen: Über uns kreisen Geier, kleine, uns unbekannte Vögel tummeln sich am Bach und wilde Minze, Rhabarber und Thymian wachsen am Wegrand. Eine kleine Gemse klettert über uns am Hang der Schlucht. Am Ausgang steht jetzt eine Herde von Yaks. Eine Kuh hat wohl kurz vorher ihr Kalb geboren. Sowohl bei ihr als auch bei ihrem Jungen ist die Nabelschnur noch sichtbar. Das Kalb steht zudem noch ganz wackelig auf seinen Beinen. Voll von diesen ganzen Eindrücken kommen wir ins Camp Dungenee. Nach dem Abendessen haben wir noch ein langes Gespräch bis in den Abend mit der Betreibern.
Das Tageslicht kommt heute Morgen vielfarbig durch ein Fenster unserer Jurte und weckt mich bereits um kurz vor sechs. Ich bin hellwach und stromere nach der Morgentoilette auf dem Gelände unseres Camps umher und nehme alles in Augenschein. Die Besitzerin hat uns gestern Abend erzählt, dass sie sich entschieden hat, die Jurten nicht mehr traditionell aufzubauen, sondern wegen des häufigen und starken Windes hier in Festbauweise. Die Jurte der Nomaden ist eigentlich eher ein Zelt, sie besteht aus einem Holzgerüst, das mit Filzdecken belegt wird. Im Camp dominiert jetzt der Festbau.
Durch das Camp flitzt eine kleine Ziege, die sorgfältig alle frischen Gräsern zwischen den Steinen wegputzt.
Heute geht die Fahrt weiter nach Südwesten. Die Sanddünen von Khongory els stehen auf dem dem Programm. Doch vorher werfen wir noch einen Blick in eine weitere kleine Schlucht, in der sich das Eis ebenfalls sehr langsam zurückzieht.
Mittlerweile ist es sehr heiß geworden. Die Tagestemperaturen liegen bei dreißig Grad. Im Camp an den Dünen machen wir zunächst einmal eine längere Pause - an eine Wanderung ist bei dieser Hitze nicht zu denken. Gegen Abend besuchen wir eine Nomadenfamilie in ihrem Jurtenlager in der Nähe und machen mit deren Kamelen noch einen kleinen Ausritt in die Wüste.